Neue Verbindlichkeit

Juli 2017 - Hochkarätigen Besuch hatten wir beim 2. Netzwerktreffen 2017 im Familienzentrum Schopfheim: Der emeritierte Professor und bekannte Schweizer Soziologe Dr. Ueli Mäder aus Basel gab Impulse zu "Neuen Formen der Verbindlichkeit".

Prof. Mäder ging in seinem Vortrag zum Thema "Unterschiede wahrnehmen und konstruktiv angehen. Neue Formen der Verbindlichkeit" zunächst auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ein und stellte die Frage nach der Reaktions- und Reflexionsfähigkeit auf gesellschaftliche Einflüsse. „Wille und Tatkraft reicht oft nicht aus, um etwas zu bewegen", betonte Mäder. Seine These: Derzeit finde ein Paradigmenwechsel vom politischen zum finanzgetragenen Liberalismus statt. Er ging im Folgenden auf die freiwillige Arbeit ein und grenzte diese von ehrenamtlicher Arbeit (gewählter Vertreter) und unbezahlter Arbeit (nicht immer freiwillig) ab.

Qualität in der sozialen Arbeit solle nicht allein durch Standards gesichert werden, sondern viel mehr noch durch den Austausch der Menschen untereinander. „Wir müssen ältere Menschen ermuntern, mehr zu erzählen, ihr Wissen so weiterzugeben, und damit die Qualität kommunikativ sichern", erklärte Mäder. Hier ist eine große Chance für Einrichtungen, die einen Raum für diesen intensiven Austausch vorhalten.

Wichtig sei bei diesem Vorgehen auch die Konfliktfähigkeit: „Wir müssen uns wieder vermehrt Auseinandersetzungen stellen." Gerade im informellen Bereich gäbe es oftmals ein größeres Gefälle an verschiedenen Typen, was den Umgang mit Konflikten angehe. Für ein gutes Miteinander sei es wichtig, eine Sensibilität hierfür zu haben und auf andere Menschen offen zugehen zu können. „Indem wir aufeinander zugehen, kommen Differenzen zu tage." Es helfe, Differenzen zuzulassen, dies erzeuge auch Dynamik.

Wichtige Eigenschaften von freiwillig Engagierten seien über die Sensibilität und Offenheit hinaus der Blick für Stärken, also den Menschen als Ganzes zu sehen und ihn im Rahmen der Kompetenzmotivation zu unterstützen. Die Mütter- und Familienzentren können hier ein Gegenpol sein zum Trend der „eng gefassten Nützlichkeit", die durch die Digitalisierung und des vermehrt mechanischen Verständnisses wieder stärker in den Fokus der Wirtschaft und Gesellschaft gerückt sei.

Anknüpfend an seine Forderung „Qualität kommunikativ sichern" ging Mäder auf das narrative Kommunizieren als Anforderung an freiwillige Hilfe ein. Um wirklich etwas von seinem Gegenüber zu erfahren, sei es wichtig, einfach zuzuhören und erstmal nur zu versuchen zu verstehen. Im nächsten Schritt sollten die freiwillig Engagierten ihre seismographische Funktion wahrnehmen: Das Wissen, dass sie in Gesprächen sammeln, sprachlich sensibel einsetzen, auch unter strategischen Gesichtspunkten. Wichtig bei der freiwilligen Arbeit sei es auch, Professionalität gelassen zu praktizieren. Mäders Aufforderung an die Verantwortlichen aus den Mütter- und Familienzentren: Sich selber auch zu regenerieren und zu reflektieren.

Aus diesen Anforderungen heraus brauche es eine neue Identität und Verbindlichkeit der freiwilligen Arbeit. Offenheit bedeute auch, sich gemeinsam über Grenzen zu verständigen. Viele Menschen wollen heute wieder mehr soziale Verbindlichkeit, und zwar aus freien Stücken heraus. In den von Mäder genannten Anforderungen sehen wir eine große Chance für die Mütter- und Familienzentren. Dies sind Eigenschaften, die wir einer Gastgeberin im Offenen Treff zuschreiben. Der Offene Treff ist „Unser Raum", den wir für den Austausch mit Menschen und für das, was sich entwickelt, vorhalten.

Mäders Sicht von außen, gespickt mit vielen Beispielen aus seinen Begegnungen mit Menschen, hat verständlich gemacht, wo die Knackpunkte unseres Engagements liegen können. Die Rückmeldungen der Teilnehmerinnen zeigen, dass es wichtig ist, mit etwas Abstand und auch kritisch auf unser eigenes Engagement und unsere Bemühungen um die Familien, die in unsere Zentren kommen, zu schauen, aber auch die eigene Sicht auf die Dinge in Frage gestellt zu bekommen.

Foto: Mehrgenerationenhaus Familien-Zentrum-Freudenstadt e.V. (FZF)

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