Minister Lucha zu Besuch im Mütterzentrum

Sozialminister Manne Lucha hat das Mütter- und Nachbarschaftszentrum in Reutlingen besucht, um sich über das Projekt „Ein gedeckter Tisch für alle" zu informieren. Gleichzeitig hat sich der Minister einen Einblick in die Arbeit, das Konzept und die Wirkung von Mütterzentren in Baden-Württemberg geben lassen.

Von Nina Ayerle

Ein bisschen überrascht war man beim Mütterforum und in Reutlingen, dass der neue Sozialminister von Baden-Württemberg ausgerechnet das Mütter- und Nachbarschaftszentrum in Reutlingen besuchen möchte. Zumal das Zentrum derzeit renoviert wird. Nach knapp 30 Jahren bekommen die Räume endlich neue Böden. Angereist ist der Minister aber natürlich nicht, um sich persönlich ein Bild von der Baustelle zu machen – auch wenn er dies natürlich auch tat. Nein, vielmehr interessierte er sich für das in dem Mütter- und Nachbarschaftszentrum Reutlingen und ElkiKo Tübingen ins Leben gerufene Projekt „Ein gedeckter Tisch für alle". „Wir haben uns den Armuts-und Reichtums Bericht des Landes Baden-Württemberg nämlich sehr genau angeschaut", sagte Andrea Laux vom Vorstand des Mütterforums.

Die Zentren haben sich im Rahmen des Ideenwettbewerbs für Strategien gegen Armut mit ihrem Projekt beworben.

Und einen gedeckten Tisch fand der Minister natürlich in Reutlingen auch vor. Aufgrund der Baustelle sind die elf anwesenden Frauen – allesamt im Bereich Mütterzentren engagiert – kurzerhand in den Garten von Mutter Anja Wesselmann nebenan ausgewichen. „Wer im Mütterzentrum arbeitet, der weiß eben immer noch eine Lösung, wo er hin kann", sagte Andrea Laux.

Neben der Projektvorstellung hatten die Frauen zwei weitere Programmpunkte auf ihrer Agenda, welche sie mit dem Minister diskutieren wollten: Den Koalitionsvertrag und darin speziell der Punkt, in welchem die Landesregierung anstrebt, Kindertagesstätten in Familienzentren weiterzuentwickeln. Zum anderen wollte man auch darauf hinweisen, wie wichtig die Mütterzentren für die Gesellschaft sind.

Im Garten von Anja Wesselmann ging es dann auch zunächst darum: Was macht eigentlich ein Mütterzentrum? Andrea Laux hatte dafür eine schöne Beschreibung parat: „Hier werden Kinder betreut, aber wir sind keine Kita. Hier werden Menschen beraten, aber wir sind keine Beratung. Hier wird Saft verkauft, aber wir sind kein Saftladen. Hier wird gekocht, aber wir sind kein Restaurant. Wir leben den Alltag einer Großfamilie, aber wir sind nicht verwandt." Minister Manne Lucha lobte gerade diese „offenen Häuser, in denen viele Funktionen stattfinden können, die flexibel agieren können, aber einen ordnungspolitischen Rahmen brauchen, damit die Finanzierung gesichert ist."

Darauf wäre zum Beispiel das Reutlinger Zentrum angewiesen. Bisher übernimmt Bettina Noack als Ehrenamtliche sehr viel Arbeit dort, eine feste Stelle habe es aber in all den Jahren von der Stadt Reutlingen nicht gegeben. „Ich habe große Sorgen, wie es weitergeht, wenn ich das irgendwann nicht mehr machen kann", sagte sie. Als „Arbeitsauftrag" wollte der Minister eben diese Frage mitnehmen: Was brauchen die Zentren an Rahmenbedingungen von Landesseite, um weiterhin „die gleiche, gute Arbeit leisten" zu können.

Familien- und Mütterzentren stehen allen Familien offen, egal in welcher Lebenslage sie sich befinden. Trotzdem brauchen gerade Familien, denen es wirtschaftlich nicht so gut geht, besondere Aufmerksamkeit und Ansprache als Türöffner. Eine Ansprache, wie es schon viele Familien gerade im Mütter-und Nachbarschaftszentrum Reutlingen gefunden haben.. Mit dem Projekt „Ein gedeckter Tisch für alle", welches die Zentren in Reutlingen und Tübingen durchführen wollen, soll genau diese „soziale Inklusion", wie es Christiane Zenner-Siegmann vom ELKIKO Tübingen nannte, fördern. „Wir erreichen bisher nicht das höchste Maß an belasteten Familien, aber wir erreichen alle Familien", sagte sie. So könne man so manche Ressourcen dadurch sparen, dass sich die Mütter gegenseitig beraten, erläuterte sie. Das professionelle Gespräch und die Begleitung untereinander ergänzen sich aus ihrer Sicht gegenseitig. „Und genau so erreicht man Inklusion." Denn auch eine Mutter aus der Mittelschicht kann von einer Mutter aus einer sozialschwachen Familie lernen. „Gute ausgebildete Mütter scheitern oft an ihren eigenen Ansprüchen", so die Erfahrung von Andrea Laux. Da hätten schon viele ärmere Mütter helfen können. „Gegenseitige Erdung" nannte dies Anja Wesselmann.

Während man für das Projekt in Tübingen 25 Tage draußen unterwegs sein will und um mit den Menschen in den Stadtvierteln ins Gespräch zu kommen, soll es in Reutlingen drei Abende mit einem Festmahl geben. Einmal werden die armen Familien alleine zu ihren Bedürfnissen befragt, einmal sollen wohlhabendere eingeladen werden und am dritten Abend soll es einen direkten Austausch zwischen Menschen die von Armut betroffen sind, mit Menschen aus den Ämtern, Politik und Verwaltung geben. „Gerade die gegenseitige Wertschätzung auf den Ämtern ist sehr wichtig", betonte Bettina Noack. Es sei wichtig, dass Beamte Menschen, die Hartz-IV beziehen, auch wohlgesonnen seien. „Anders darf es in unserem Staat eigentlich nicht sein." Zum ersten Festmahl werden Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen von Armut betroffen sind aus dem Müze und Umfeld eingeladen. Wir wollen mit einander ins Gespräch kommen über ihre Lebenssituation, über ihre Wünsche und Bedürfnisse. Für die Gäste, die nicht betroffen sind, geht es um Zuhören, Begegnung, Berührung und Verstehen.

Die Zeit des Ministers war knapp bemessen, deswegen konnte Andrea Laux ihm zum Abschluss „nur kurz die Welt erklären". Denn ein wichtiges Anliegen des Mütterforums war, darauf hinzuweisen, dass sie die Pläne der neuen Landesregierung speziell Kinder- und Familienzentren zu fördern, kritisch sehen. Denn die Botschaft dahinter sei, dass neue Familienzentren mit Kita gefördert werden, während das andere Familienzentrum, das seit 25 Jahren die Arbeit macht, nun „vor der Tür" stehen. Diese bekommen logischerweise dann auch keine Förderung, wenn keine Kindertagesstätte dabei ist. Gerade im ländlichen Raum sei dies ein Problem, sagte Karin Paulsen-Zenke aus dem Vorstand des Mütterforums. Viele Zentren dort könnten jetzt nicht einfach etwas Neues machen. Im Gegenzug könnten sie eine Förderung in Höhe von 10 000 Euro natürlich auch gut gebrauchen, ergänzte sie. „In Stuttgart ist das kein allzu großes Problem", fügte Andrea Laux noch hinzu. „Aber man braucht trotzdem nicht immer gleich eine Kita und ein Familienzentrum, nur weil das gerade Mainstream ist." Die Argumentation schien letztlich auch Minister Lucha nachvollziehbar und er versprach zumindest, dass man „da tatsächlich genau hinschauen werde". Denn: „Man muss das Kind ja wirklich nicht mit dem Bade ausschütten", sagte Lucha abschließend.

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