Enquetekommission „Krisenfeste Gesellschaft“

April 2023 - Die Enquetekommission „Krisenfeste Gesellschaft" des Landtags beschäftigt sich mit der Frage, wie das baden-württembergische Gemeinwesen besser vor Krisen geschützt werden kann. Dabei sollen Lehren aus dem Umgang mit der Coronapandemie gezogen, aber auch grundsätzlich die Krisenbewältigung auf Landesebene in den Fokus genommen werden. Ziel ist es, konkrete Handlungsempfehlungen zu formulieren, um Staat und Gesellschaft in Baden-Württemberg krisenfester aufzustellen.

Insgesamt widmet sich die Enquetekommission in Bezug auf die Krisenfestigkeit von Staat und Gesellschaft vier verschiedenen Themenfeldern. Das dritte Handlungsfeld betrifft die Berücksichtigung gesellschaftlicher Strukturen und Betroffenheiten bei der Krisenvorsorge und Krisenbewältigung. Hier sind auch die Themen Familie und Frauen/Gleichstellung verortet.

Der Landesfrauenrat und der Landesfamilienrat, in denen das Mütterforum direkt bzw. über den Paritätischen Wohlfahrtsverband Mitglied ist und mit denen wir zusammenarbeiten, wurden zu einer Stellungnahme für dieses Handlungsfeld aufgefordert.

Als Beitrag zu den Stellungnahmen der beiden Landesräte hat das Mütterforum die folgende Stellungnahme mit Fokus auf den Quartiersansatz verfasst, um für uns wichtige Punkte in die Enquetekommission einzubringen.

Weitere Informationen zur Arbeit der Enquetekommission gibt es auf der Website des Landtags

Stellungnahme des Mütterforums Baden-Württemberg
Nach drei Jahren Pandemie und dem damit verbundenen Leid, Beziehungsverlusten, Überarbeitung, Unternehmenssterben, Bildungseinschränkungen und einer unheiligen Allianz von Impfgegnern, "Querdenkern" und Rechtsextremem ist es an der Zeit, Überlegungen und Maßnahmen zur Resilienzstärkung unserer Gesellschaft zu entwickeln.

Auch das Mütterforum treibt die Fragen um, wie sich in Zukunft und in Krisenzeiten der gesellschaftliche Zusammenhalt fördern lässt, der Zugang zu korrekten Informationen und Ressourcen für alle Bevölkerungsteile sicherstellen, wie sich deren Eigenverantwortung und damit unsere Demokratie stärken lässt.

Dafür gibt es nicht die einzige richtige Lösung. Es geht um eine Summe von Verhaltensänderungen, die politisch und gesellschaftlich gewollt sein müssen. Und deren Wirkung ein nachhaltiges Gemeinschaftsgefühl ist.

Die Mütterzentrumsbewegung bietet hier einen möglichen Lösungsansatz. Die präventive und demokratiestärkende Arbeit in den Zentren hat sich seit Jahrzehnten bewährt und ist wissenschaftlich gut begleitet und bewertet worden. Zusammen mit der Quartiersentwicklung, die sich im gleichen Sozialraum bewegt, könnten aus Engagierten im Zentrum auch engagierte „Stadtteilmütter und -väter" werden. Zusammen bietet der Quartiersansatz und das Mütterzentrums-Konzept einen adäquaten und nachhaltigen Weg, sich in einem überschaubaren Ort wohlzufühlen, sprich „daheim" zu sein.

Der Offene Treff mit seinen qualifizierten Gastgeberinnen dient als Modell für Begegnung im Stadtteil. Hier findet der Austausch ganz niederschwellig statt. Ziel ist die Hilfe zur Selbsthilfe für Familien wie für mein Umfeld.

Es gibt bereits viele ganz unterschiedliche Formen der Kooperation Mütterzentrum – Quartier: Kennenlernanlässe durch gemeinsames Tun (z.B. Pflanzentauschbörse), lebendiger Erfahrungsaustauch über eine bunte, altersgemischte Vielfalt ( z.B. Sprachkurse mit Kinderbetreuung oder Babycafé mit Gästen), Frischluft-Begegnungsorte besonders seit der Pandemie (z.B. Plauderbänke, Offener Bücherschrank, Offene Bibliothek der Dinge) und vieles mehr.

Durch eine fruchtbare Kooperation von Mütterzentrum und Quartier können krankmachender Einsamkeit und Depression entgegengewirkt werden. Dazu tragen unsere Kümmer:innen bzw. Gastgeber:innen bei. Es gilt das Prinzip des Einladens – Ermunterns – Inspirierens; nicht des Sagens, was gemacht werden soll. Bei den flachen Hierarchien der Zentren ist das normal: Jede einzelne Frau wird gehört und respektiert. Besonders die Stillen Gruppen liegen uns am Herzen. Hier können sie ermuntert werden, sich auszutauschen und ihre Bedürfnisse zu äußern.

Quartiers- und Mütterzentrumsarbeit ist gelebte, nicht dozierte Demokratie. Partizipation gilt von unten nach oben. Es können auch Fehler gemacht werden, um sich danach neu organisieren zu können. So sind diese Kooperationen praktizierte Gegenbeispiele zu autoritären politischen Stilen. Durch diese Praxiserfahrung kann auch eine schweigende Mehrheit immunisiert werden.

Diese Arbeit der Stadtteilmütter und -väter ist nachhaltig, präventiv, demokratiestärkend, kein „nice to have" oder nur ein freundlicher Gruß zum Nachbarn. Außer dem politischen Willen dafür bedarf es aber noch mehr, um ein verantwortungsvolles Gemeinschaftsgefühl im Quartier entstehen zu lassen. Nur mit ehrenamtlicher Hilfe lässt sich das nicht stemmen. Für die vielzitierten Kümmer:innen bzw. Gastgeber:innen, die kontinuierlich vor Ort arbeiten, und für die Sicherstellung einer funktionierenden Kommunikationsstruktur und eines Begegnungsortes muss die kommunale Hand ihren finanziellen Beitrag leisten.

Dies ist eine lohnenswerte Investition in die Zukunft unserer Familien, unserer Quartiere, unserer Kommunen und unseres Landes.

Verfasserin: Helga Hinse für das Mütterforum Baden-Württemberg

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